Am 18. November 2016 haben Wolfgang Niemann und Marion Koppelmann unser langjähriges Mitglied Eline Pickelmann anlässlich ihres 80. Geburtstags im September 2016 besucht.

Im folgenden Gespräch war viel von der SPD-Zeitgeschichte in der Region besonders der 1970er und 1980er Jahre die Rede. Da die OV-Vorsitzende damals nicht im Land war und vieles während des Gesprächs zum ersten Mal gehört hat, soll hier Eline selbst zu Wort kommen. Diese Erinnerungen hatte Eline unserem Webmaster gemailt, der parallel an den “Memoiren” der Kreis-SPD arbeitet.

“Ich bin 1969, während des damaligen Bundestagswahlkampfes in die SPD und gleichzeitig in die AWO eingetreten, während einer Veranstaltung des Fürstenrieder SPD-Ortsvereins mit Dr. Günter M. (der später in die CSU wechselte).

1971 sind wir dann nach Gauting, in den Schlosspark umgezogen. 1972 standen Kommunal-Wahlen an. SPD-Ortsvorsitzende war damals die Theologin Hannelore W. Der OV war sehr aktiv. In diesem Zusammenhang hatte der Gemeinderat Peter B. Strategieüberlegungen ausgearbeitet, die davon ausgingen, dass möglichst in jedem Ortsteil bzw. Quartier jemand für den Gemeinderat 1972 aufgestellt werden sollte. Der Gemeinderat umfasste 24 Sitze.

In Gauting brodelte es, weil 1972 Babyboomer eingeschult wurden und die Klassen erst ab 55 Schülern geteilt wurden. Unser jüngster Sohn gehörte zu diesem Jahrgang. Deshalb habe ich mich gleich in der Initiative „Für kleine Klassen“ engagiert.

Im Schlosspark, mit seinen 265 Wohneinheiten, wohnten vor allem Neuzuzügler, die auch viele Kinder mitbrachten. Ich wurde also für diesen Bereich aufgestellt und ging mit Georg K.-A. Klinkenputzen. Wir beide wurden sehr liebenswürdig empfangen und angehört. Georg war aber auch eine imposante Erscheinung.

Worauf ich nicht gefasst war: ich bekam auch böse Briefe, vorwiegend in Sütterlin-Schrift, in denen mir empfohlen wurde, möglichst schnell zu verschwinden.

Hannelore W. und ich waren als Hausfrauen zeitlich nicht so eingeschränkt, wir schleppten ständig einen Tisch und einen Sonnenschirm durch die Gegend und verteilten Unterlagen. Den Einzug in den Gemeinderat schaffte ich zwar nicht auf Anhieb, aber ich war die erste Ersatzfrau, und als eine Genossin wegzog, rückte ich bald in den Gemeinderat nach. Außerdem wurde ich Mitglied im SPD-Kreisvorstand. 1971 war ich bereits zur AWO-Ortsvorsitzenden gewählt worden und richtete in der Funktion den Gautinger Seniorentreff ein, der 1974 eröffnet wurde und heute noch besteht.

Gleichzeitig bildete sich im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratische Frauen (ASF) eine schwer aktive Frauengruppe, die etwa ein Gebiet von Feldafing bis Gräfelfing und Gilching umfasste. Wir lasen Betty Friedan, Germaine Greer, Kate Millett und Simone de Beauvoir* und besuchten Veranstaltungen mit Hannelore Mabry** und des Frauenforums München und waren im gesamten Landkreis sehr aktiv an Wahlkämpfen beteiligt. Das Ergebnis war schlussendlich das Reißverschluss-Verfahren bei der Aufstellung von Wahllisten, die Aufstellung von Dagmar Scholz zur Bundestagswahl 1986 und eine erhebliche Zunahme an Mandatsträgerinnen. Das Reißverschluss-Verfahren führte dazu, dass ich 1978 auf einen aussichtsreichen Platz für den Kreistag aufgestellt wurde.

Die Arbeit im Gemeinderat Gauting war schwierig, da es in Gauting zwischen den Parteien starke Konkurrenz gab. Der Kreistag war dagegen sehr interessant. Ich war im Jugendhilfe- und Sozialhilfeausschuss, dazu schickte mich die Partei in die Musterungskommission nach Weilheim, wo ich zweimal im Jahr anwesend sein musste. Im Kreistag herrschte ein ganz anderes Klima als im Gautinger Gemeinderat, es machte Spaß mit den anderen Mandatsträgern zusammenzuarbeiten.

Die Erfahrungen beim Aufbau des Gautinger Senioren-Treffs und die Aktivitäten in der Frauenbewegung gaben den Anstoß, dass ich meine eigene berufliche Zukunft neu plante und ein Sozialpädagogik-Studium begann und abschloss. 1981 fing ich dann in der Haunerschen Kinderklinik als Sozialpädagogin in der Frühförderung an. Ich hatte die Eltern behinderter Kinder zu betreuen und zu entlasten. Die Arbeit hat mir in den nächsten 14 Jahren viel Spaß gemacht, weil ich wirklich etwas bewirken konnte, ganz anders als in den staatlichen Gremien.

Wie sagte unser Geschichtsprofessor Sing an der Fachhochschule: „In den politischen Gremien braucht man vor allem Sitzfleisch, bis zu dem seltenen Moment, wo man plötzlich durch seine Stimme einmal eine wichtige Entscheidung beeinflussen kann.“ Ich war dafür zu ungeduldig.

Ehrenamtlich blieb ich weiter auf Kreisebene aktiv. Noch lange im Kreisvorstand der AWO, im Kinderschutzbund und im Weißen Ring. In diesem Zusammenhang habe ich die Organisationen über Jahre im Arbeitskreis gegen Kindesmissbrauch und am runden Tisch gegen Gewalt vertreten. Seit 5 Jahren privatisiere ich nur noch. Das Alter führt einfach zu gesundheitlichen Einschränkungen, die mir Grenzen auferlegen.

Rückblickend kann ich sagen: Ich habe viel durch die politische Arbeit gelernt und erfahren. Ich habe tolle Menschen kennengelernt, aber auch schwierige Zeitgenossen. (Die tollen haben überwogen.) Viele Mitstreiter sind entweder weggezogen, ausgetreten oder zur Konkurrenz konvertiert. Und in den letzten Jahren sind auch einige, die ich sehr geschätzt habe, verstorben.

Noch immer empört mich die weltweite Ungerechtigkeit und Abwertung ganzer Völker, und Dummheit regt mich auf. Wer fremdenfeindliche Parolen bei mir loswerden möchte, gerät an die falsche Adresse, obwohl ich der Ansicht bin, dass Hilfe und Einwanderung gesteuert werden müssen. Wir brauchen dringend ein Einwanderungsgesetz.

Politisch bleibe ich am Ball, weil man sich ja über Presse, Bücher und politische Sendungen im Fernsehen gut informieren kann. So kann es weitergehen.

Eline Pickelmann”

*) Anmerk. der Lektorin: Betty Friedan (1921-2006) US-amerikan. Feministin & Publizistin; Germaine Greer (1939) austral. Intellektuelle & Publizistin; Kate Miller (1934) US-amerikan. Schriftstellerin; Simone de Beauvoir (1908-1986) frz. Frauenrechtlerin & Schriftstellerin

**) Hannelore Mabry (1930-2013) dt. Frauenrechtlerin aus München

Artikel bearbeitet und eingestellt von Marion Koppelmann

 

1 Kommentar
  1. Reinhard Keilich
    Reinhard Keilich sagte:

    Liebe Eline,
    zufällig bin ich auf diese Nachricht gestoßen. Seit dem Tod meines Vaters haben wir nichts mehr voneinander gehört und gesehen. Wie ich aus der Internetseite ersehe, geht es dir gut und das freut mich.
    Alles Gut und einen lieben Gruß aus Gauting

    Reinhard Keilich

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